Verloren

Nicht nur der Frankfurter Bahnhof, sondern auch jeder mal wieder umgeräumte Supermarkt erinnert mich an die letzten Jahre von Tante Threschen.
Von Demenz oder gar Alzheimer hat Anfang der 80er noch niemand geredet. Meine Lieblingsgroßtante wurde tüddelig. Besuchte ich sie, bekam ich auf meine Geschichten und Fragen oft zur Antwort: „Ja, ja, so isses!“
Gerne zog sie sich auch viele Kleidungsstücke übereinander an, so dass ich sie gelegentlich damit etwas aufzog und sie immer erwiderte: „Kind, was gut gegen Kälte ist, ist auch gut gegen Wärme.“
Einmal wollte die Tante in „ihrem“ Edeka einkaufen. Es war jedoch alles umgeräumt, sie fand weder den Contessa-Kuchen, den sie kaufen wollte, noch den Ausgang. Zuhause war Onkel Josef nach zwei Stunden unruhig geworden und hatte sich auf die Suche gemacht. Völlig verstört und stumm fand er seine Frau in einer Ladenecke und brachte sie heim.

Als ich in die Fremde zog und mich bei Tante Threschen verabschiedete, gab sie mir mit auf den Weg: „Wenn du schon mal über Frankfurt gereist bist, dann weißt du ja, wie ein Kopfbahnhof aussieht. Die Züge fahren ein und aus, aber es geht nicht weiter und zwischen den Gleisen gibt es keine Verbindung. Genauso sieht es in meinem Kopf aus. Alles geht 'rein, aber nichts passt mehr zusammen.“

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Kommentare: 1
  • #1

    Marita Ja (Donnerstag, 26 März 2020 09:42)

    Das hat die alte Dame wirklich sehr treffend formuliet